Von der Flachlandtirolerin zur Gämse oder wie ich lernte, die Berge zu lieben

Rückblick 1987: Wie bereits im Jahr zuvor verbringe ich die Osterferien gemeinsam mit meinen Eltern auf einem kleinen Bauerhof im schönen Allgäu. Die Sonne scheint und ich tobe mit meiner geliebten Puppe Jutta über die blühenden Wiesen. Als ich über eines der Holzgatter kraxle, verliere ich den Halt und lande unsanft mit dem Gesicht voran auf einer Weide.
Der Schreck lässt schnell nach, mir ist nichts passiert. Erleichtert schaue ich zur Seite. Da liegt sie, meine Jutta. Der kleine Schmollmund ist leicht geöffnet. Mit ihren blauen Kulleraugen blickt sie starr in den Himmel, während ihre blonden Locken in einem frischen Kuhfladen versinken.

Schreiend renne ich zurück zum Hof. Den Nachmittag verbringt Jutta kopfüber in einem rostigen Badezuber, bevor ihr meine Mutter am Abend mit spitzen Fingern einen feschen Kurzhaarschnitt verpasst. Langer Rede kurzer Sinn: Jutta und ich haben an diesem Tag beschlossen getrennte Wege zu gehen. Jahre später habe ich sie zufällig in einem Karton auf dem Dachboden meiner Eltern wiedergefunden. Auch in den Bergen war ich seitdem nie wieder. Die nächsten Ferien haben wir in einem verschlafenen Nest an der deutschen Nordseeküste verbracht.

Karte E5

Etliche Jahre später sitze ich in einem Café und warte auf eine Freundin. Ich blättere lustlos in einer Zeitschrift, als ich auf einen Artikel stoße, der sofort meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht. In dem Artikel geht es um zwei Frauen, die auf einem Fernwanderweg die Alpen überquert haben. In sechs Tagen sind sie von Oberstdorf bis nach Meran in Südtirol gelaufen. Entlang steiniger Pfade, vorbei an saftig grünen Wiesen, Murmeltieren und tosenden Wasserfällen.
Das ist genau das Richtige für mich!

Wieder daheim klappe ich meinen Laptop auf und suche nach weiteren Informationen. Zufällig stoße ich auf die Seite einer kleinen Bergschule in Oberstdorf, die genau diese Tour in ihrem Programm hat. Im Sommer habe ich noch nichts vor.
Ich suche mir einen passenden Termin heraus und schon habe ich gebucht.

Als ich mir anschließend den Tourenverlauf noch einmal genauer durchlese, springen mir zwei Worte ins Auge, die mir sofort ein ungutes Gefühl bereiten: alpine Erfahrung! Ja, das sollte jetzt nicht weiter überraschen, wenn man die Alpen überqueren will, dann ist alpine Erfahrung sicherlich von Vorteil. Das Problem ist nur, dass ich keine alpine Erfahrung habe. Absolut gar keine! Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass ich mal als Kind mit einer Gondel zur Zugspitze hinaufgefahren bin, befürchte aber, dass das nicht ganz zählt! Auch während der besagten Urlaube im Allgäu habe ich das schöne Bergpanorama eher aus der Ferne genossen.

Was mache ich denn jetzt? Noch könnte ich das Ganze vielleicht wieder rückgängig machen. Ich will aber nicht! Ich habe mir vorgenommen, die Alpen zu überqueren und wenn ich mir etwas vorgenommen habe, dann bin ich nur schwer wieder davon abzubringen. Wenigstens war ich diesmal nicht so unvernünftig mich wie sonst alleine auf den Weg zu machen.
Der Gedanke, die Tour mit einem erfahrenen Bergführer zu laufen, beruhigt mich doch etwas. Der wird mich ja wohl irgendwie über die Alpen bringen. Irgendwie….

Oberstdorf bis Kemptner Hütte

Einige Monate später stehe ich aufgeregt vor einer kleinen Bergschule in Oberstdorf und beobachte das bunte Treiben um mich herum. Rucksäcke werden gewogen, aus- und umgepackt. Unglaublich, was die Leute alles dabei haben. Überzählige Müsliriegel werden eingesammelt und eine große Tüte mit Nussvorräten, die sämtlichen Eichhörnchen in Oberstdorf und Umgebung einen sorgenfreien Winter bescheren dürften, an mir vorbeigetragen. Fast ist es mir ein bisschen peinlich, dass mein kleiner Rucksack nur knapp sieben Kilo wiegt und völlig unbeachtet in der Ecke steht. Im Kopf gehe ich noch einmal meine Packliste durch: Regenjacke, Hüttenschlafsack, Stirnlampe… alles dabei!

Oase AlpinCenter Oberstdorf

Nachdem alle Wanderer eingetrudelt und die Rucksäcke ordentlich gepackt sind, fahren wir zum Startpunkt unserer Tour in die Spielmannsau. Dort werden wir von unseren Bergführern Susanne und Mathias in zwei Gruppen aufgeteilt. Ich lande in der Gruppe von Susanne. Nichts gegen die Herren der Schöpfung, aber der Gedanke von einer Frau über die Alpen geführt zu werden gefällt mir. Auch die Gruppe besteht zum größten Teil aus Frauen. Ein Ehepaar und drei einzelne Herren gesellen sich noch dazu.

Jetzt geht es endlich los! Dieser Moment muss unbedingt festgehalten werden. Als ich meine Kamera wieder verstaut habe und aufblicke, sehe ich Susanne, die nur noch an ihrer türkisfarbenen Jacke zu erkennen ist, in der Ferne verschwinden. Okay, die Frau ist zackig! Nichts wie hinterher!

Anfangs geht es recht gemächlich an sattgrünen Wiesen vorbei und durch den Wald stetig hinauf. Erste Kontakte werden geknüpft und Wandererfahrungen ausgetauscht. Ich bekomme von diesen Gesprächen nicht allzu viel mit und kann mich auch nicht daran beteiligen, denn ich schaue so konzentriert auf meine Schuhspitzen und die Steine auf dem Boden, dass ich schon bald ganz in meinen Gedanken versunken bin. Beruhigt, dass der Weg ja gar nicht so schlimm ist, und völlig tiefenentspannt schlendere ich so vor mich hin.

Sperrbachtobel Fernwanderweg E5

Doch langsam wird der Weg immer schmaler und steiniger. Die Gruppe läuft jetzt hintereinander im Gänsemarsch durch den wilden Sperrbachtobel nach oben. Direkt neben meinem rechten Schuh geht es tief nach unten. Sehr tief nach unten.
So nahe war ich noch nie an einem Abgrund. Ein Rinnsal plätschert malerisch über die Felsen und den schmalen Weg und verschwindet irgendwo im Nirgendwo. Mir wird heiß und mir wird noch heißer, als ich Susanne vor mir leichtfüßig über einen Haufen loser Steine springen sehe. Abrupt bleibe ich stehen. Gerd läuft auf mich auf, Elke läuft auf Gerd auf,
die Gruppe staut sich hinter mir. Es hilft ja nichts, da muss ich jetzt wohl rüber! Zittrig stolpere ich von Stein zu Stein.
Immer dicht am Abgrund. Was mache ich hier eigentlich? Noch kann ich mir natürlich nicht vorstellen, dass es für mich am Ende der Tour gar nicht hoch und steinig genug sein kann. Geschafft, war ja eigentlich gar nicht so schlimm! Dennoch bin ich ganz froh, als wir die Kemptner Hütte erreichen.

Kemptner Hütte, Alpenüberquerung E5

Nach einigen Geschichten über schlimme Zustände in Matratzenlagern, die mir im Vorfeld daheim erzählt wurden, habe ich keine hohen Erwartungen an unsere heutige Unterkunft. Umso überraschter bin ich, als ich das Zimmer, das ich heute mit vier weiteren Damen teilen werde, betrete. Es ist sauber und hell. Die dicken Bettdecken sind mit rot-weiß karierter Bettwäsche bezogen und das Kissen hat einen akkuraten Knick in der Mitte.

Eine weitere Überraschung ist das Abendessen. Es gibt mehrere Gänge und alles ist frisch zubereitet. Die Gruppe ist unglaublich lieb, denn als sich herumspricht, dass ich Vegetarierin bin, werden mir von allen Seiten die Salatblätter und Gurkenscheiben gereicht. Nachdem ich mich durch meinen Berg Grünzeug gefuttert habe, schaffe ich allerdings meine Schlutzkrapfen nicht mehr und verteile die restlichen Nudeln an die umsitzenden Herren am Tisch. Ich freue mich jetzt auf mein Bett, muss aber entsetzt feststellen, das ich meine Ohrstöpsel wohl zuhause vergessen habe. Na dann gute Nacht! Doch bereits am nächsten Tag habe ich einen Ersatz gefunden, der ebenfalls für einen erholsamen Schlaf sorgt:
Hefeweizen, viel Hefeweizen! Erkenntnis des Tages:


Besser auf neuen Wegen etwas stolpern, als auf alten Pfaden auf der Stelle zu treten.

Kemptner Hütte bis Memminger Hütte

Um kurz nach sieben verlassen wir die Kemptner Hütte und laufen gemütlich eine halbe Stunde hinauf zum Mädelejoch. Dort begrüßt uns ein Grenzschild in der Alpenrepublik Österreich.

Grenzschild auf dem E5

Wir genießen für einen Moment die schöne Aussicht auf die Lechtaler Alpen und machen einen kurzen Fotostopp.
Dann geht es steil hinab durch das Höhenbachtal. Der Weg hat es in sich, langsam wird mir richtig warm. Ich pelle mich aus meiner Fleecejacke und kremple die Hosenbeine hoch. Vorbei am Roßgumpen Wasserfall und über eine schwankende Hängebrücke erreichen wir schon bald Holzgau im Lechtal. Die Kirchenglocke läutet. Einige Holzgauer kommen gerade aus der Sonntagsmesse.

Auf dem Weg nach Holzgau

Kulinarisch scheint diese Reise einiges zu bieten zu haben, denn nach dem mehrgängigen Menü am gestrigen Abend sitze ich jetzt vor dem Gasthaus „Bären“ in der prallen Sonne und verdrücke eine ordentliche Portion Käsespätzle. Das ist Urlaub! Die Tour gefällt mir jetzt schon!

Hängebrücke Holzgau

An der Talstation im Madautal geben wir unsere Rucksäcke ab, die von dort mit der Materialseilbahn weiter bis zur Memminger Hütte transportiert werden. Dann führt uns der Weg weiter über einen Holzsteg, der von kleinen Steinmännchen gesäumt ist.

Alpenüberquerung auf dem Fernwanderweg E5

Begleitet vom Pfeifen der Murmeltiere geht es jetzt über üppig blühende Wiesen immer weiter hinauf Richtung Memminger Hütte. Die Landschaft ist wunderschön. Es ist heiß, die Sonne brennt.

Alpenüberquerung auf dem Fernwanderweg E5

Übernachtet wird heute in einem Matratzenlager. Wir haben einen Raum für uns alleine. Nur ein Platz ist noch frei,
den später Konrad aus Wuppertal einnehmen wird. Das Abendessen ist wieder sehr gut. Ich nehme heute keine Salatspenden an und esse brav mein Tellerchen leer.

Kurz vor der Memminger Hütte

Als ich in den Schlafsaal komme, liegt ein Großteil der Gruppe schon im Bett. Auch Konrad hat es sich in seinem rosa Schlafsack schon bequem gemacht. Ich habe kein Problem damit, wenn Männer ihre feminine Seite zeigen, aber Konrad,
der so eingemummelt in seinem rosa Schlafsack vor mir liegt, sieht aus wie ein Würstchen im Schlafrock. Ich verkneife mir das Lachen, steige über drei auf dem Boden liegende Rucksäcke und krabble auf meinen Teil der Matratze.

Der Letzte macht das Licht aus! Marion sucht im Dunkeln noch nach ihrer Zahnbürste. Doch schon nach kurzer Zeit ist
alles ruhig. Nur hin und wieder unterbricht ein leises Schnarchen die Stille. Ich liege direkt unter dem offenen Fenster.
Der Mond scheint hell, die Luft ist eisig und die Umrisse der Alpen heben sich dunkel vom Nachthimmel ab.

Memminger Hütte auf dem E5

Gerade als ich endlich dabei bin einzuschlafen, wird Konrad in seinem rosa Schlafsack munter und fängt unaufgefordert an seine komplette Lebensgeschichte zu erzählen. Genervt drehe ich mich auf die andere Seite.

Schon bald habe ich das Gefühl, mehr über Konrad zu wissen als über mich selbst. Ich bin kurz davor ihn höflich zu bitten doch endlich die Klappe zu halten, als er sich umdreht und augenblicklich einschläft.

Das gibt es doch nicht! Noch vor einer Woche hätte ich es nicht für möglich gehalten dicht neben einem Abgrund über loses Geröll zu springen oder mir einmal das Bett mit einem Mann zu teilen, der nachts von seinem abenteuerlichen Leben als Anlageberater erzählt. Diese Tour hat es ja wirklich in sich!

Prima, jetzt kann ich nicht mehr einschlafen! Hellwach starre ich noch lange in die sternenklare Nacht hinaus und frage mich, ob auf einer Berghütte schon einmal ein Mord verübt wurde und wie hoch wohl die Wahrscheinlichkeit ist, dabei geschnappt zu werden. Erkenntnis des Tages:

Um Männer mit rosa Schlafsack sollte man einen großen Bogen machen!

Memminger Hütte bis Galflunalm

War das eine Nacht! Gerädert stehe ich im Waschraum der Memminger Hütte und klatsche mir das eiskalte Wasser ins Gesicht. Ich brauche jetzt erst einmal einen ordentlichen Kaffee. Essen kann ich aber nichts, ich bekomme so früh am Morgen einfach nichts runter.

Aufstieg zur Seescharte

Ein langer Wandertag liegt vor uns und Susanne drängt zu einem zeitigen Aufbruch. Hinter der Memminger Hütte treffen wir auf eine Herde Steinböcke. Dann beginnt der steile Aufstieg zur Seescharte. Der Weg ist steinig und ziemlich anstrengend.
Es nieselt leicht. Hinter mir schnaufen Elke und Detlef. Mir ist irgendwie richtig übel, vielleicht hätte ich doch etwas essen sollen. Auch Hannes ist ganz grau im Gesicht und sieht aus, als müsste er gleich die Murmeltiere „füttern“. Ich laufe nicht mehr, sondern schwanke leicht den Berg hinauf. Als ich jedoch über die Seescharte steige und mir der Wind ins Gesicht bläst, geht es mir sofort wieder besser. Auch meine Schnappatmung lässt rasch nach. Ich lehne mich gegen den Fels und genieße die gigantische Aussicht.

Alpenüberquerung auf dem Fernwanderweg E5

Nachdem sich alle durch die schmale Scharte gedrängt haben, beginnt der lange Abstieg. Es ist neblig. Steil, über Schnee- und Geröllfelder, geht es hinab ins Lochbachtal. Vor uns liegt die markante Silberspitze. Der Weg macht mir heute richtig Spaß. Meine anfängliche Zögerlichkeit und die Angst vor dem Abgrund sind vergessen, mittlerweile habe ich mich gut eingelaufen.

Brotzeit auf dem Fernwanderweg E5

Nach einer Rast mit zünftiger Brotzeit auf der Unterlochalm geht es weiter. Vor uns liegt das beeindruckende Zammer Loch. Der Weg ist angenehm zu laufen. Schon bald hat man einen schönen Blick auf Zams und Landeck.

Alpenüberquerung auf dem Fernwanderweg E5

Am frühen Nachmittag erreichen wir die Gemeinde Zams im Inntal. Es regnet. Nach dem langen Abstieg und einer wohlverdienten Kaffeepause gönnen wir uns eine bequeme Auffahrt mit der Venetbahn auf den Krahberg.
Oben angekommen haben sich die dunklen Wolken bereits verzogen und der Regen hat aufgehört.
Auf einem schönen Panoramaweg laufen wir zur Galflunalm.

Abendessen auf der Galflunalm

Kurz bevor wir unser heutiges Etappenziel erreichen, fühle ich mich für einen kurzen Moment wie auf dem Inka-Trail,
denn vor uns steht nicht etwa eine grasende Kuh, sondern ein großes Lama. Argwöhnisch beobachtet es uns mit angelegten Ohren und steht mitten auf dem hölzernen Steg, der zur Alm führt. Vorsichtshalber ducke ich mich, denn es sieht aus, als ob es gleich spucken würde, und schleiche mich vorbei.

Die Galflunalm mit ihren alten Holzbalken und dem knarrenden Boden ist richtig urig. Hier würde ich sofort einziehen!
In der kleinen Stube ist es gemütlich warm. Zum Abendessen gibt es Käsespätzle, viel Bier und Marillenschnaps.
Erkenntnis des Tages:

Immer weiter! Nur nicht umdrehen!

Galflunalm bis Braunschweiger Hütte

Als wir in die Stube kommen, ist der Frühstückstisch liebevoll gedeckt. Sogar Brötchen gibt es. Ich habe wunderbar geschlafen. Das Wetter ist herrlich. Über Wiesen und durch den Wald laufen wir hinunter nach Wenns. Von dort geht
es durch das Pitztal nach Mittelberg.

Alpenüberquerung auf dem Fernwanderweg E5

Auf der sonnigen Terrasse der „Gletscherstube“ machen wir eine längere Pause. Hier bekomme ich endlich meine langersehnten Spinatknödel mit zerlassener Butter und viel Parmesan. Vielleicht nicht die beste Idee bei der Hitze
und so kurz vor dem Aufstieg zur Braunschweiger Hütte, aber das muss jetzt einfach sein.

Für alle, die Spinatknödel genauso gerne mögen, gibt es hier das Rezept.

Spinatknödel

Vollgefuttert und zufrieden sitze ich nach dem Essen auf einer Bank, beobachte eine Herde zotteliger Hochlandrinder,
die hier frei herumlaufen und genieße einfach die Sonne.

Aufstieg zur Braunschweiger Hütte

Nach einer Weile raffen wir uns auf. Es geht weiter. Vorbei an einem tosenden Wasserfall und der beeindruckenden Gletscherzunge des Mittelbergferners führt uns der Aufstieg über steile und teilweise seilversicherte Wege zur Braunschweiger Hütte hinauf.

Aufstieg zur Braunschweiger Hütte

Kurz bevor wir die Hütte erreichen, kommt uns von oben eine chinesische Wandergruppe entgegen.
Höflich machen wir Platz und lassen die Gruppe vorbeiziehen. Immer schön nicken und lächeln, nicken und lächeln…
Das nimmt gar kein Ende! Wo kommen die denn alle her?

Ich lehne mich gegen die kühle Felswand, schließe für einen Moment die Augen und denke an meine kalte Johannisschorle, die ich gleich auf der Terrasse der Braunschweiger Hütte trinken werde. Ich bin geschafft, mir reicht es für heute.
Als ich die Augen wieder öffne, scheint China die Volkszählung auf der Braunschweiger Hütte beendet zu haben und wir können endlich weiterlaufen.

Braunschweiger Hütte auf dem Fernwanderweg E5

Oben angekommen haben wir eine atemberaubende Aussicht auf die umliegende Gletscherlandschaft. Ich mache noch ein paar Fotos, ziehe dann meine Bergstiefel aus und mache es mir mit den anderen auf der Terrasse der Braunschweiger Hütte gemütlich.

Ausblick aus der Braunschweiger Hütte

Etwas versteckt, in einer kleinen Nische hinter einem grünen Kachelofen, sitzen wir am Abend in der Gaststube beisammen. Das Essen ist gut. Es gibt Pellkartoffeln mit Quark, Speck und Gemüse.

Einige Damen aus unserer Gruppe lassen sich vor dem Zubettgehen von der Hüttenwirtin eine Wärmflasche füllen.
Das mache ich auch und liege kurz darauf in meinem mollig warmen Bett. Doch bereits eine Viertelstunde später
bekomme ich Hitzewallungen. Mir ist so heiß, dass ich mich augenblicklich aus meiner langen Merinowäsche schälen muss. Erkenntnis des Tages:

Spinatknödel machen glücklich!

Braunschweiger Hütte bis Vent

Die erste Etappe des heutigen Tages führt uns über das Rettenbachjoch. Gleich nach dem zeitigen Frühstück geht es steil bergauf. Unterwegs bekomme ich mal wieder leichte Schnappatmung und Susanne rät mir kleinere Schritte zu machen. Oben angekommen ist die Anstrengung aber schnell vergessen und wir werden mit einem überwältigenden Ausblick auf
die Ötztaler und Stubaier Bergwelt belohnt.

Alpenüberquerung auf dem Fernwanderweg E5

Über ein Schneefeld schlittern wir zügig hinab zur Gletscherstation Sölden. Hin und wieder purzelt jemand aus der Gruppe an mir vorbei. Auch ich falle, drehe mich aber, wie gerade gelernt, sofort auf den Bauch und kralle die Finger in den Schnee.

Abstieg über ein Schneefeld

Im Restaurant „Rettenbachgletscher“ machen wir eine Pause, bevor wir mit dem Bus durch den „Rosi-Mittermeier-Tunnel“ zum Parkplatz am Tiefenbachferner fahren. Dort begeben wir uns auf den schönen Panoramaweg nach Vent im Ötztal.

Rettenbachjoch

Auf dem wunderschön angelegten Höhenweg genießen wir herrliche Ausblicke auf die Ötztaler Gipfel. Meine Stöcke habe ich mittlerweile Gerd vermacht. Ich habe sie in den letzten zwei Tagen sowieso nicht mehr benutzt. Am Weißkarsee machen wir eine kurze Rast und liegen faul in der Sonne.

Dann geht es weiter. Vorbei an Wasserfällen, saftig grünen Wiesen und weidenden Schafen kommen wir schließlich zu einem breiten Forstweg, der direkt ins Zentrum von Vent führt.

Panoramaweg nach Vent

Wir übernachten heute in einem 4-Sterne-Hotel mit Wellnessbereich, den die Gruppe freudig in Anspruch nimmt.
Da wir jetzt seit fast einer Woche rund um die Uhr zusammen sind, nehme ich mir eine kleine Auszeit. Ich beschließe,
auf meinem Hotelzimmer zu bleiben, und verbringe den Nachmittag gemütlich in der Badewanne.

Weißkarsee auf dem Fernwanderweg E5

Das Abendessen ist sehr gut. Das Salatbuffet ist ein wahrer Traum. Nach dem ein oder anderen Hefeweizen falle ich spät
am Abend in mein schönes, großes Bett. Hätte mich meine Zimmernachbarin am nächsten Morgen nicht geweckt,
würde ich wahrscheinlich heute noch in Vent liegen. Erkenntnis des Tages:

Kleine Schritte führen zum Ziel.

Vent bis Meran

Der letzte Wandertag beginnt mit strahlendem Sonnenschein. Über einen breiten Almweg laufen wir in gemächlichem Tempo durch das Niedertal zur Martin-Busch-Hütte.

Vor mir wedelt Detlef heute so wild mit seinen Stöcken, wie Zorro mit dem Degen und bevor er mir seine Initialen in meine neue Regenjacke schlitzt, halte ich doch lieber etwas Abstand.

Alpenüberquerung auf dem Fernwanderweg E5

Nach einer kurzen Pause auf der Terrasse der Martin-Busch-Hütte geht es weiter zur Similaunhütte am Niederjoch, an der österreichisch-italienischen Grenze.

Gemeinsam mit Elke und Detlef schließe ich mich jetzt Mathias und seiner Gruppe an. Susanne wandert mit unserer Gruppe weiter zur Ötzi-Fundstelle, die oberhalb der Similaunhütte am Hauslabjoch liegt.

Kurz vor der Martin-Busch-Hütte

Für mich beginnt nun der schönste Abschnitt der gesamten Tour. Die Landschaft ändert sich und der Weg wird steiniger. Schon bald kann man die kleine Similaunhütte in der Ferne erkennen.

Da die Gruppe recht gemütlich unterwegs ist, habe ich heute viel Zeit um Fotos zu machen. Immer wieder bleibe ich stehen, drehe mich um und genieße die Landschaft.

Aufstieg zur Similaunhütte

Kurz bevor wir die Similaunhütte und somit den höchsten Punkt unserer Tour erreichen, ändert sich das Wetter.
Es ist mittlerweile ziemlich kalt und neblig. Ich freue mich jetzt auf einen heißen Kaffee und meinen heiß geliebten Apfelstrudel. Die Sahne dazu steht draußen vor der Hütte auf der Fensterbank.

Gletscher kurz vor der Similaunhütte

Die Hütte ist brechend voll, aber gemütlich. Überraschenderweise sind hier oben viele Wanderer mit Hunden unterwegs.
Als ich am Eingang meinen Rucksack hole, lerne ich Wastl und sein Frauchen Karin kennen. Der kleine Rauhaardackel ist
auf seinen kurzen Beinchen doch tatsächlich den gesamten Weg von Oberstdorf bis hierher gelaufen – ein wahrer Held! Geschafft liegt er zusammengerollt zwischen den Rucksäcken auf dem Boden. Nach einer kleinen Pfotenmassage ist Wastl aber wieder fit für den Abstieg und auch wir machen uns auf den Weg.

Ankunft an der Similaunhütte

Direkt hinter der Hütte führt ein Steig hinunter ins Schnalstal. Anfangs verläuft der Weg ziemlich steil und felsig in Serpentinen nach unten und wird nach gut einer Stunde wieder breiter und flacher. Vorbei an kleinen Bächen wandern
wir jetzt über Almwiesen. Schon bald hat man einen schönen Blick auf den smaragdgrünen Vernagt-Stausee.

Mathias lässt mich einfach in meinem eigenen Tempo laufen. Die Gruppe liegt bald ein gutes Stück hinter mir. Ich fühle
mich heute wie der Hase aus der Duracell-Werbung, dem man gerade eine neue Batterie in den rosa Hintern geschoben hat. Ich könnte laufen, laufen, laufen…

Vernagt Stausee

Als ich den alten Tisenhof am Stausee erreiche und das letzte Gatter hinter mir schließe, ist der Weg zu Ende.
Noch bin ich ganz alleine.

Ich setze mich auf eine der Holzbänke, bestelle mir ein Hefeweizen und lasse die vergangenen Tage Revue passieren.
Ich muss an den heutigen Abstieg denken und wie ich noch vor einer Woche ängstlich über die Steine gestolpert bin,
an unseren schweißtreibenden Aufstieg zur Seescharte, an die atemberaubende Aussicht auf die Gletscherlandschaft
rund um die Braunschweiger Hütte und natürlich an die Gruppe, mit der ich all diese tollen Momente teilen durfte…

Erkenntnis des Tages:

Alles ist möglich!

Tiesenhof am Vernagtstausee

Nach und nach trudeln alle ein und gemeinsam geht es nach Meran, wo wir am Abend bei einem ausgiebigen Essen feuchtfröhlich unsere Ankunft feiern.

Ich bin so froh, dass ich diese Tour nicht abgesagt habe, und kann es kaum erwarten, wieder in die Berge zu kommen.
Und sollte ich vielleicht schon bald meine nächste Bergwanderung buchen, muss ich danach nicht wieder in Panik verfallen, denn jetzt habe ich ja (wenigstens ein bisschen) alpine Erfahrung!

Bist du auch schon einmal über die Alpen gewandert? Ich freue mich auf deinen Kommentar!

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13 Comments

  1. Hallo Jane,

    so wie es aussieht haben wir Glück gehabt, wir können in 2 Wochen unsere Tour vom Watzmann zu den 3 Zinnen beginnen. Ich bin dann doch froh das ich noch mal raus in die Berge komme. Jetzt gilt es noch zu Trainieren, weil ein Muli auf der Tour glaube ich, nicht erlaubt ist 🙂 Bin sehr gespannt auf die Tour, werde die neue Kamera testen und dann mal Berichten wie es gewesen ist. Ich hoffe du kommst auch noch raus und genießt die Berge.

    Viele Grüße Oliver

    • Oh, wow! Dann wünsche ich dir ganz viel Spaß und vor allem gutes Wetter.
      Bin gespannt! Wie ist das eigentlich im Moment mit den Unterkünften geregelt?
      LG
      Jane

      • Hi Jane,

        in den Unterkünften wird nur jeder 3 Platz belegt und dazwischen sind auf den meisten Hütten Bretter angebracht damit man sich nicht in die Quere kommt 🙂 . Dann muss man zusätzlich zu dem Hüttenschlafsack noch einen normalen Sommerschlafsack mitnehmen weil auf den Hütten keine Decken und Kissen mehr ausgegeben werden . Mundschutz , Einmalhandschuhe und Desinfektionsmittel sollten auch in den Rucksack, dann kann es losgehen. Die üblichen 8 KG für den Rucksack werden auch aufgehoben und man kann bis 9 KG mitnehmen. So eine Woche noch dann geht’s los 🙂 ich werde dann mal Berichten wie es gewesen ist.
        Viele Grüße und bleib gesund
        Oliver

        • Hallo Jane,

          so, bin wieder im Lande. Die Alpentraversale war super und ich kann sie nur empfehlen. Wir hatten bis auf einen Tag gutes Wetter, die Hütten waren nicht ausgelastet so das wir fast überall 2 Bettzimmer mit eigenem Bad/Dusche hatten .Das Essen war Top und überall sehr lecker. Die Landschaft ist traumhaft schön und der Weg technisch anspruchsvoll aber überall gut zu laufen. Also wenn die Alpentraversale noch auf deinem Plan steht , auf jeden Fall machen. Ich wünsche dir viel Spaß dabei.
          Viele Grüße
          Oliver

          • Jane

            Hallo Oliver,

            das freut mich! Wer war denn der Bergführer?
            Gruß
            Jane

          • Hi Jane,
            unser Bergführer war zum 2ten mal der Thia ( Mathias Klebauer). Für nächstes Jahr haben wir auch schon wieder eine Tour geplant, mal sehen was draus wird 🙂 .
            Gruß
            Oliver

          • Jane

            Hallo Oliver,

            mit Thia laufe ich auch gerne. War bestimmt eine super Tour.
            Gruß
            Jane

  2. Hallo Jane,

    mein Name ist Oliver und ich bin auch schon mit der Oase den E5 gelaufen (September 2017).Es war auch meine erste goße Alpine Wanderung. Ich war die Jahre davor zwar schon öfters in Bad Reichenhall und Berchtesgaden zum Wandern aber das waren immer nur Tagestouren ohne Hüttenübernachtungen. Ich kann es aber nur jedem ans Herz legen so etwas mal zu machen, es war eine sehr schöne Erfahrung auch in der Gruppe. Es ist echt so wie in deinem Bericht beschrieben, die Landschaften sind der Hammer. Ich kann dich verstehen wenn es einen dann packt, im Jahr 2019 war ich Wiederholungstäter und bin mit der Oase dann die Steinbocktour gelaufen, absolut zu empfehlen. Die vielen angepflockten Steinböcke von der Oase ( damit wir auch was zum Fotografieren hatten 🙂 ) waren schon klasse . Falls es in diesem Jahr doch noch klappen sollte bin ich mit der Oase und ein paar aus der vorherigen Gruppe auf der Tour vom Watzmann zu den 3 Zinnen. Ansonsten auf jeden fall im nächsten Jahr, denn so ganz ohne Wanderung geht ja gar nicht.

    PS : dein Blog und deine Berichte ( Fotos ) sind wirklich gut gemacht und sehr schön zu lesen, bist auf jeden fall nicht auf den Mund gefallen 😉 Mach genau so weiter und viel Spaß noch auf deinen weiteren Touren.

    Viele Grüße
    Oliver

    • Hallo Oliver,

      vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Das freut mich sehr. Die Steinbock-Tour bin ich 2018 gelaufen (Artikel dazu kommt auch bald) und im letzten Jahr war ich mit der Oase auf dem Dolomiten Höhenweg Nr. 1 unterwegs. Die Tour war landschaftlich auch superschön – kann ich nur empfehlen! Ja, ich hatte für dieses Jahr eigentlich auch noch die ein oder andere Wanderung geplant (die Alpentraversale zu den 3 Zinnen steht auch auf meiner Liste). Mal schauen, was daraus wird und wie sich das alles entwickelt! Wünsche dir auch noch viel Spaß auf deinen Touren. LG, Jane

      • Danke Jane,

        dann bin ich mal auf den Bericht deiner Steinbocktour gespannt, ich habe es dann doch mehr mit dem Lesen, das schreiben ist nicht so meins 🙂 .Was mich aber noch Interessieren würde, für die schönen Bilder was nimmst du da für eine Kamera mit ? Schleppst du da eine klobige große Spiegelreflex mit oder eine kleine gute Digicam mit hoher Auflösung und gutem Zoom ?
        LG Oliver

        • Hallo Oliver,

          ich hatte eine Sony DSC-RX 100 dabei, aber wenn ich ehrlich bin, dann fotografiere ich beim Wandern meist einfach mit dem Smartphone.
          Auf der Steinbock-Tour hatte ich zusätzlich noch meine Spiegelreflex dabei, weil ich dachte, dass vielleicht der Zoom von der kleinen Sony nicht ausreicht (wollte natürlich die Steinböcke nahe „ranholen“), habe sie aber nur am ersten Tag benutzt – war mir einfach zu umständlich mit diesem großen Ding um den Hals! Also auf Reisen Spiegelreflex, auf Outdoor- und Wandertouren Kompaktkamera + Smartphone.
          LG Jane

          • Hallo Jane,

            habe auch schon Erfahrungen gemacht mit dem Fotografieren mit dem Smartphone 🙁 Nach dem Frühstück auf der Memminger Hütte war unterhalb der Hütte eine Steinbock Herde von min. 30 Tieren, habe sie mit dem Handy nicht nahe genug rangekriegt , auf den Bildern war nur ne Wiese mit braunen Punkten. Zum Glück waren in unserer Gruppe welche mit einer gescheiten Kamera. 🙂 .Habe mir jetzt eine von diesen kleinen Kompakten Travelzoom Kameras geholt ( Canon Powershot sx 730 hs ) , die hat einen 40 fachen Zoom, damit sollte es dann besser klappen und zusätzlich noch ein Fernglas´( Bresser Spektar 8*42 ) .Werde es bei der nächsten Wanderung Testen und dann mal berichten wie die Bilder geworden sind 🙂
            Bleib gesund und LG Oliver

          • Jane

            Hallo Oliver,

            die braunen Punkte kenne ich nur zu gut! Ich habe auf der Steinbock-Tour nur
            3 oder 4 Bilder von Steinböcken gemacht, die wirklich ok sind. Hab da auch noch
            nicht die perfekte „Kamera-Lösung“ gefunden.
            Wünsche dir viel Spaß beim Fotografieren und Ausprobieren.
            LG Jane

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